Chinesische Kostbarkeiten

Ai Weiwei präsentiert in München seine gesellschaftlich engagierte Kunst


Na, das sieht aber farbenfroh aus! Der seit der letzten Kasseler documenta ungemein populäre chinesische Künstler Ai Weiwei hat der Fassade des Münchener Hauses der Kunst ein buntes Gewand übergestreift. Es besteht aus 9000 eigens angefertigten Schulrucksäcken in fünf Farben. Sie verdecken die trutzig schwerfällige Einschüchterungsarchitektur des von Adolf Hitler in Auftrag gegebenen einstigen Tempels für die alljährlichen Leistungsschauen deutschen Kunstschaffens im Geiste des Nationalsozialismus.


Aber das ist natürlich längst Geschichte. Seit 1950 bekennt sich das Haus der Kunst nämlich mit seinen Ausstellungen zur von den Nazis verpönten internationalen Moderne. Von Ai Weiweis nunmehr gezeigter Schau steht gar zu vermuten, dass sie demnächst als eine der bedeutendsten der jüngeren deutschen Ausstellungsgeschichte gelten wird.


Die eigens für den Ausstellungsort geschaffene Fassadenverschönerung trägt den Titel "Remembering". Die Rucksäcke sind farblich so angeordnet, dass sie in chinesischen Schriftzeichen einen Satz bilden. Er lautet: "Sieben Jahre lang lebte sie glücklich in dieser Welt." Das sagte eine Mutter über ihre Tochter, die im Mai 2008 beim Erdbeben in der chinesischen Provinz Sichuan ums Leben kam. Unter den Todesopfern befanden sich tausende von Kindern, begraben von eingestürzten Schulen. Der Provinzregierung wird deshalb Pfusch am Bau vorgeworfen. Gegen den Widerstand offizieller Stellen, die weder Namen noch Anzahl der Erdbebenopfer nennen wollen, stellte Ai Weiwei mit seinen Helfern Nachforschungen an, deren Ergebnisse er im Internet veröffentlichte.


Dass aber politisches und gesellschaftliches Engagement lebensgefährlich sein kann, hat Ai Weiwei in diesem Zusammenhang kürzlich am eigenen Leib erfahren. Einer seiner Helfer kam letzten August wegen "Untergrabung der Staatsgewalt" vor Gericht. Ai Weiwei, der für ihn aussagen wollte, wurde von Polizisten unter Anwendung körperlicher Gewalt daran gehindert, die Gerichtsverhandlung zu besuchen. Die Spätfolgen des polizeilichen Übergriffs stellten sich beim Aufbau der Münchener Ausstellung ein. Ai klagte über Kopfschmerz und Schwindel. Im Krankenhaus wurde er wegen einer Blutansammlung zwischen Hirnoberfläche und harter Hirnhaut erfolgreich operiert.


Wie kritische Stellungnahme und Naturkatastrophe Ais Schaffen prägen, zeigt auch sein populärstes Werk: Das aus hölzernen Fensterläden und Türen zwangsgeräumter chinesischer Abbruchhäuser errichtete Monument "Template" ging auf der letzten documenta während eines Gewittersturms in einer Pirouette zu Boden. Der Künstler war es zufrieden: Die Naturgewalten hatten sein Werk auf dramatische Weise vollendet.


In eben dieser Form bildet "Template" den Auftakt des Münchener Ausstellungsrundgangs. Auf ihm begegnet man zahlreichen wiederverwerteten chinesischen Altertümern, die Ai mit Wandtexten kommentiert. Dramatischer Höhepunkt des Antiquitätenrecyclings ist die Installation "Trough" (2007-2008). Sie besteht aus zierlichen Tischen und mächtigen, zickzackförmig aneinandermontierten Rundbalken. Mal stützen sich Tische und Balken wechselseitig. Dann wieder durchstoßen die Balken brachial die Tischplaten. Ai: "Das Holz, das ich verwende, stammt aus Tempeln, die im Namen der Innovation zerstört wurden, oder es ist Holz, wie es Antiquitätenhändler verwenden, wenn sie antike Möbel fälschen."


Wie sehr sein Schaffen in der jahrtausendealten Kultur seines Heimatlandes verwurzelt ist, zeigt der mit "chinesischen Kostbarkeiten" angefüllte Raum. "Eine Tonne Tee" ist zu einem mächigen Quader zusammengepresst. Ein Haufen aus unzähligen Sonnenblumenkernen erweist sich als illusionistisches Meisterwerk der Porzellankunst. Rund 4000 Jahre alte Steingutvasen hat Ai mit einer knallbunten Ummantelung aus Industriefarben versehen - unter der freilich alles beim Alten bleibt. Dass jedoch letztendlich alles vergänglich ist, demonstriert unter dem Titel "Dust to Dust" ein Glasgefäß, das mit zu Staub zermahlenen neolithischen Tonwaren angefüllt ist.


Imposanter Höhepunkt ist die Installation im Großen Saal, in dem Hitler einst seine Reden über Kunst geschwungen hat. 70 Jahre Ausstellungstätigkeit haben auf den steinernen Bodenplatten tiefe Spuren hinterlassen. Das wird sonst leicht übergangen. Und so hat Ai, um auf deren Geschichtsträchtigkeit aufmerksam zu machen, einen in einer chinesischen Wollweberei von Hand gefertigten Teppich über den Bodenfliesen ausbreiten lassen, der exakt ihrem zerkratzten Aussehen entspricht. Auf dieser "Soft Ground" genannten Arbeit sind 100 "Rooted Upon" betitelte uralte chinesische Baumstämme und mächtige Wurzeln verteilt. Solch bizarr zerklüftete Hölzer sind in China Gegenstand der Kontemplation, wie der Künstler erklärt.


Die Wände des Großen Saals sind von oben bis unten mit großformatigen schwarzweißen Fotoporträts der 1001 Chinesen tapeziert, die Ai Weiwei im Rahmen des Projekts "Fairytale" nach Kassel zur Besichtigung der documenta geholt hatte. Ai: "Mein Traum war es, Menschen die Reise zur documenta zu ermöglichen, die diese Möglichkeit sonst nie im Leben gehabt hätten. Das ist doch zumindest teilweise das, was Kunst bewirken kann: die Bedingungen für individuelle Aufklärung und Bewusstseinsbildung schaffen."


Zur Person: Ai Weiwei

Der 1957 in Peking geborene Ai Weiwei gilt als der bedeutendste zeitgenössische Künstler Chinas. Sein Vater, der Dichter Ai Qing (1910-1996), wurde mitsamt der Familie in den späten 1950er Jahren von den Kommunisten in die chinesische Provinz verbannt, wo er harte körperliche Arbeit leisten musste. Nach dem Ende der Kulturrevolution wurde der Vater 1976 rehabilitiert und zog mit der Familie nach Peking zurück. Ai Weiwei studierte dort zunächst an der Filmakademie, bevor er 1981 nach New York ging. 1993 kehrte er nach Peking zurück. Sein vielseitiges künstlerisches Schaffen umfasst neben der Aufarbeitung und gelegentlichen Zerstörung chinesischer Antiquitäten Fotografien, Dokumentarfilme und Produktgestaltung. Im Rahmen seiner architektonischen Aktivitäten war er Berater der Architekten Herzog & de Meuron bei Entwurf und Bau des Stadions für die Olympischen Spiele in Peking 2008. Nach Ai Weiweis Ansicht ist ein Künstler dazu verpflichtet, gesellschaftlich und politisch Stellung zu beziehen. Dem Internet spricht er das größte Potential für die Einleitung gesellschaftlicher Veränderungen zu. Darüber schreibt Mark Siemons im Begleitbuch zur Münchener Ausstellung: "Mit seinem Blog will er die chinesische Kultur in bestimmten Punkten verändern, wobei er die Resonanz im Inland zur Einbeziehung von immer mehr Mitarbeitern nutzt und die im Westen als Schallverstärker."



Text: Veit-Mario Thiede, Goethestraße 100, 34119 Kassel, Tel: 0171-3860734, E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!


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